Mobilität der Zukunft: Kampf der Platzhirsche um die Deutungshoheit.

 

Die Mobilität ist in einem disruptiven Umbruch. Interessant, wie die bisherigen Platzhirsche agieren – die verantwortlichen Manager der Autoindustrie und des öffentlicher Verkehrs. Ihren Verlautbarungen folgend, wird man den Eindruck nicht los, dass sie vor allem eine riesige PR-Maschinerie vom Stapel lassen. Womöglich mit dem Ziel, die eigenen Unsicherheiten und Ängste zu übertünchen. Demut und Bescheidenheit? Fehlanzeige. Oft muss bereits das Erzählte reichen.

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Jedes Jahr im Herbst wird Frankfurt zum Zentrum des Automobils. Die Stadt am Main lockt Besucherinnen und Besucher an die IAA, die internationale Automobil-Ausstellung. So jedenfalls bezeichnete sich diese Messe über viele Jahre, ein Stelldichein der Automobilindustrie, die sich selbst zelebriert. Nur, schien die Bezeichnung «Automobil-Ausstellung» den Veranstaltern zu wenig peppig? Neu nennen die Organisatoren die Messe «Europas führende Plattform für Mobilität». Was wollen sie uns damit sagen? Welche Absicht steckt dahinter?

Da sind verschiedene Faktoren, die gleichzeitig wirken. Vom Dieselskandal hat sich die deutsche Autoindustrie noch nicht erholt. Zuviel Image und Glaubwürdigkeit hat sie dabei verspielt. Noch immer steckt der Schrecken in den Knochen, wie der Car-Nobody Elon Musk mit seinen E-Autos die stolze Industrie überholte und gleich eine markante Marktposition bei den hochpreisigen Fahrzeugen besetzte. Von China her rollen ganze Flotten von E-Fahrzeugen an. Marken, die in unsern Breitengraden bis anhin noch völlig unbekannt sind, werden rasch unser Strassenbild prägen. Und vom Silicon Valley her nähert sich die Tech-Industrie, die sich mit ihren Kompetenzen in KI (künstlicher Intelligenz), MI (Maschine Learning) und Datentracking einen happigen Teil der Wertschöpfung im Mobilitätsmarkt sichern will. Klimadiskussion und Sharing-Economy werden das Konsumverhalten, vor allem der jungen Menschen, grundlegend verändern. Die stolze (bisweilen arrogante) Autoindustrie steht gewaltig unter Druck. Einige Medien bezeichnen deshalb die diesjährige IAA, «Europas führende Plattform für Mobilität», bereits als Krisengipfel.

Und wie reagieren gestandene Automanager?

Was bringt erwachsene, eigentlich intelligente, Männer dazu, sich in einem derart peinlichen Geschwurbel zu ergehen. Ein solches Verhalten wirkt eher peinlich, weitab von innovativ und gestaltend. Die vollmundig vorgetragenen Voten sind reine Absicherungs- und Verteidigungsstrategien. Die Autoindustrie hat eine riesige PR-Schlacht um die Deutungshoheit über das Narrativ der Mobilität der Zukunft angezettelt. Automobile Hochämter, wie eben diese IAA, sind geeignete Kathedralen, dies zu inszenieren. In die Köpfe der Menschen einbrennen, wie sich die wunderbare auto-mobile Zukunft entwickeln wird. «Auf einen Knopfdruck das autonom fahrende Fahrzeug, voll elektrisch, bestellen, wann immer man es wünscht und braucht.», «Sich in einer bequemen Lounge räkelnd von A nach B bewegen.» So, die verlockenden Schalmeienklänge, mit denen uns die Vertreter der Autoindustrie einlullen. In der Realität aber kaufen in der Schweiz immer noch 50 % der Neuwagenkäufer SUV’s, als ob sie sich mit Strassenpanzern für die Klimakrieg rüsten müssten. Derart übermotorisiert machen sie ganz profane Besorgungen. Holen ihre Kinder von der KITA ab oder chauffieren zur nächsten Bio-Markt. Auch heuer werden an der IAA wieder «Neuheiten», nämlich SUV’s in grosser Zahl, präsentiert (siehe Titelbild). Die Automanager wollen das Narrativ der Zukunft derart vehement besetzen, weil ihnen bewusst ist, dass sich die Wertschöpfung künftig noch stärker vom Karosserie- und Motorenbau zu den IT-Technologien verschieben wird. Domänen, wo andere Akteure die Nase vorn haben. Der gross inszenierten PR-Pomp ist viel mehr Ausdruck von Angst und Verzweiflung.

Werfen wir auch einen Blick auf die andern Platzhirsche der Mobilität, die Manager der grossen ÖV-Betriebe im deutschsprachigen Raum:

Da erklärt der zurücktretende SBB-CEO Andreas Meyer so beiläufig (überheblich): «Das, was wir da Digitalisierung nennen, funktioniert bereits heute.» Damit nicht genug, unlängst hat er an einer Medienkonferenz verkündet, zusammen mit einem Luzerner Start-up, die Tech-Giganten im Silicon Valley anzugreifen. Sonst fällt auf, dass alle ÖV-Manager vor allem mit Hardware beschäftigt sind. Eisen und Beton dominieren, Milliarden wollen investiert sein. In Brücken, Schienen und Tunnels. «13 Milliarden, lieber heute als morgen.» Wenig konkrete Vorstellungen, wie man mit den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung Mehrwert für die Kundinnen und Kunden stiften könnte. Dabei leidet die ÖV-Branche unter einem gigantischen Verkehrslittering. Gegen 70 % der produzierten Leistung wird nicht genutzt. Vielleicht wäre es klug, sich neben der Fixierung auf den Kapazitätsausbau, auch etwas mit der Nutzung und Auslastung auseinanderzusetzen. Durch den Einsatz digitaler Techniken, durch kluges Tracking der Bewegungsmuster, kreative Geschäftsmodelle und neue Angebote entwickeln. Die Systeme damit markant produktiver gestalten – für die Fahrgäste attraktiver und individueller.

Nicht das Erreichte zählt – das Erzählte reicht.
— Alfred Dorfer, Kabarettist

Sowohl Automobil- wie ÖV.Manager inszenieren sich gerne als Gestalter der Mobilität 4.0. Werfen riesige PR-Maschinerien an, die sie dabei unterstützen (allein die SBB sollen dafür 100 Mio. Franken pro Jahr einsetzen). Vielleicht wäre etwas mehr Demut (im Kern dieses Wortes steckt Mut) eher angebracht. Sich wieder auf die Werte besinnen, welche die eigene Branche wirklich innovativ und gross gemacht haben und so mit Bescheidenheit, aber radikal zielstrebig, die Zukunft gestalten. Spektakuläre, konkrete Fakten liefern, aber leisere Töne anschlagen. Nicht einer Welt huldigen, «wo bereits das Erzählte reichen soll, sondern wo wieder das Erreichte zählt.» (Zitat frei nach Alfred Dorfer) #