Auf dem Pannenstreifen – eine Auto-Biografie.

 

Wie konnte die für Innovation stehende deutsche Automobil-Industrie so arg in Bedrängnis geraten? Ist sie vielleicht gar nicht so genial, wie sie uns Jahrzehnte glauben lassen wollte? Wir sind der Sache mal auf den Grund gegangen – und landeten auf dem Pannenstreifen.

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Als Carl Benz 1886 sein „Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb“ zum Patent anmeldete, war ihm sicherlich nicht bewusst, dass daraus eine der grössten Wirtschaftsmaschinen der Geschichte werden würde. Henry Ford revolutionierte mit seinem am Fliessband gebauten Model A die industrielle Produktion und schuf damit auch gleich die Grundlagen der heutigen Konsumgesellschaft. Nur die beiden Weltkriege konnten die rasende Erfolgsgeschichte des Automobils einbremsen. Doch seit der Nachkriegszeit galt dann überall freie Fahrt für freie Bürger. Zusammen mit seinem Zaubertrank – dem Benzin – und der Macht der Reklame wurde das Auto zum gierig grinsenden Superhelden des Kapitalismus. Ein Gewinnertyp, dem man ohne Ende Platz einräumte und Strassen baute, um ihn zu huldigen. Diese Vollgasfahrt geriet 1973 durch die Ölkrise zwar leicht ins Schlingern – doch man lernte nichts daraus und zündete den Turbo in die 1980er Jahre in der die Dekadenz der Automultis in neue Sphären schoss. Der Werkstattoverall wich dem Zweireiher aus Seide und Manager verdrängten die Tüftler am Lenkrad der Konzerne. Es folgten das Plattform-orientierte Baukastensystem, globalisierte Designsprachen und die Hunter-Strategien der grossen Autobauer – die Exoten zukauften um ihre konzerninterne Ideenlosigkeit zu kaschieren. Es wurde wichtiger, der Grösste zu sein, als der mit den innovativsten Ideen. Der Kunde liess sich täuschen und glaubte an den Vorsprung durch Technik. Zumindest bis zum Dieselskandal.

 

Als im September 2015 bekannt wurde, dass deutsche Autobauer – allen voran VW – illegale Abschalteinrichtungen verbauten, um ihre Fahrzeuge sauberer zu machen, flog nicht nur einer der grössten Betrugsskandale der Geschichte auf, auch der Glaube an die Unbesiegbarkeit der deutschen Automobilbranche verflog über Nacht. Der vermeintliche Vorsprung schmolz dahin und es wurde klar, dass die Konkurrenz aus China und Kalifornien im Rennen um die Automobile Zukunft um Jahre vorausfuhr. Das deutsche Auto – und damit auch der deutsche Volksstolz – war nicht nur angezählt, er wurde regelrecht vom Sockel gestossen. Wo waren sie nun, die Innovationen aus den jahrzehntelang mit Steuergeldern subventionierten Superlabors und Innovations-Clustern? Der Superheld war keiner mehr.

Die deutsche Autobranche ist zu einer Optimierungsmaschinerie geworden, welcher echte Innovationen fehlen.

Doch woher kommt dieses Urvertrauen in die Innovationskraft der deutschen Autobranche? Die Mercedes S-Klasse war 1972 nichts anders als eine Kopie der englischen Luxuslimousinen von Daimler und Jaguar, der BMW 2002 ein Abklatsch der flinken Alfa Romeo Giulia von 1963, der Opel GT eine Corvette-Kopie, der erste SUV ein Nissan. Auch bei den Technologien sieht es nicht anders aus: Das ABS erfand ein Franzose, der moderne Direkteinspritzer-Diesel kam aus Italien, der permanente 4 × 4 aus England, den ersten Airbag verbauten die Amis und der Turbo erfand ein Schweizer. Wo sind dann die grossen Momente der deutschen Autoindustrie? Der NSU Spider von 1964 mit seinem revolutionären Wankelmotor. Der geniale Erfinder Carl F. W. Borgward, der 1961 von einem BMW-Manager in die Pleite getrieben wurde. Der 1938 als Prototyp vorgestellte Kraft durch Freude-Wagen – von Adolf Hitler 1933 gefordert und ab 1934 von Ferdinand Porsche erdacht. Ein Volkswagen, welcher den Weg um elitären Porsche ebnete und der 1974 vom Käfer zum Golf wurde. Der dreirädrige Wagen von Carl Benz aus dem Jahr 1886. Alles schon etwas lange her! Die deutschen Auto-Innovationen der letzten Jahrzehnte sind grösstenteils elektronische Bauteile, Assistenzsysteme und Komfortfeatures – oder Management-getriebene Ingenieursleistungen wie das 1 Liter-Auto von VW (2014). Kurz gesagt: Die deutsche Autobranche ist zu einer Optimierungsmaschinerie geworden, welcher echte Innovationen fehlen. Also mehr Pannenstreifen, wie Überholspur. Dessen bewusst, versuchen die deutschen Automultis den Narrativ der Mobilität der Zukunft an sich zu reissen. Sie geben sich zwar geläutert vom Dieselskandal und bekunden die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Fridays for Future und so. Aber schaut man genauer hin, halten sie sich an so beschränktem fest, wie unbeschränktes Autobahn rasen und SUV-Monster mit 2.5 Tonnen Leergewicht. Alles Ideenlos und aus der Zeit gefallen! Alles wirkt wie das letzte Aufbäumen vor dem Aussterben der Dinosaurier.

 

So brüllen uns Tyannosaurus-VW, BMW-Opterix und Tyannosaurus-VW gehypte Zukunftsvisionen entgegen, die bei genauerem Hinschauen nur einfache Dienstleistungen sind – keine Innovationen aus dem Fahrzeugbau. So wird uns eine One-Button-Fernbedienung schamlos als das „Next Big Thing“ angepriesen. Ein Knopfdruck und schon ist das Auto da. Das mag in konzerneigenen Animationen wundervoll klappen, aber im echten Verkehr wird diese Idee im Stau erstickt. Schaut man noch etwas genauer hin, dann wird da gross von Sharing und Pooling schwadroniert – doch in den teuren Imagefilmen sitzen die Kunden oft alleine im Fahrzeug. Entlarvend, denn den Autokonzernen geht es nicht um eine mobile Zukunft mit weniger Autos, sondern um neue Absatzmärkte. Wo sind die grossen Ideen, wie wir sie aus den illustrierten Visionen der 50er Jahre kennen? Sie kommen nicht mehr von der Autoindustrie, sondern aus dem Silicon Valley. Superhelden tragen keine auffallenden Kostüme mehr – sie bedienen Supercomputer. Und die Chinesen? Als die Zhejiang Geely Holding Group Co. Ltd – kurz Geely – im Jahr 2010 den schwedischen Autobauer Volvo kaufte, waren sich die meisten der Tragweite dieses Schachzugs nicht bewusst. Doch Volvo steht seit Jahrzehnten für Sicherheit, solide Technik und schlichtes skandinavisches Design. Markenwerte, die besonders zukünftigen Selbstfahr-Modulen gut stehen werden und zeitgemässer wirken, wie „Freude am Fahren“.

 

Die deutschen Auto-Bosse sollten also schnell von ihrem hohen Ross herunterkommen, sich in Demut üben und die neuen Player ernst nehmen. Tun sie das nicht, dann wird es ihnen nicht anders ergehen, wie zum Beispiel Kodak, die um ihr analoges Filmbusiness nicht zu gefährden, nicht konsequent genug in die selbsterfundene digitale Fototechnik investierten. Oder Nokia, die das iPhone von Steve Jobs unterschätzten und vom Markt gewischt wurden. Oder die Musikindustrie, die MP3 und das Internet belächelten, bis die Musik nicht mehr von ihren CDs spielte, sondern von Servern bei Apple, Amazon und Co. Sie alle wurden zu träge und selbstzentriert und übersahen die Zeichen der Zeit. Im aktuellen Automarkt stehen die deutschen Autokonzerne nicht mehr unangefochten auf der Pole Position und so Innovativ – wie sich VW, BMW und Mercedes gerne selber sehen – waren sie nie. Aber das Rennen ist noch nicht gelaufen: Man müsste nur anstelle von dekadenten Strassenpanzern schnell zeitgemässe und umweltschonende Wagen fürs Volk auf den Markt bringen! Setzt man jetzt auf innovative Ideen und forscht neben dem E-Antrieb auch an anderen alternativen Antriebsformen sowie an CO2-bindenden E-Fuels, gibt es noch Hoffnung für die deutsche Auto-Zukunft. Es wäre Deutschland und seiner Wirtschaft zu wünschen – den gerade in Zeiten, wo Rechtsparteien in Deutschland wieder Fahrt aufnehmen, möchte man nicht daran denken, was passieren würde, wenn die Autobauer und Zulieferer anstelle von Absatzzahlen nur noch Entlassungszahlen kommunizieren würden. Doch es ist 2019 – und nicht 1929 – und wir haben hoffentlich alle aus der Geschichte gelernt. Die Zukunft wird es zeigen. #

 
Daniel Soldenhoffzürich