«Kein Wind ist demjenigen günstig, der nicht weiss, wohin er segeln will.» – Zehn Ziele für die Mobilität der Zukunft.

 

Mit unserem Manifest zur Mobilität der Zukunft skizzierten wir als DenkfabrikMobilität bereits 2017 ein mögliches Narrativ. Jetzt lancieren wir mit den Zielen für die Mobilitätszukunft den Diskurs über den anzustrebenden Zustand. Es geht um nichts Geringeres, als den Übergang zu einem resilienteren, nachhaltigeren Mobilitätssystem – vernetzt und ganzheitlich gestaltet.

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Zwei Gedanken sind uns wichtig. Erstens der aktuell weit verbreiteten Meinung widersprechen, dass die Corona-Krisenzeit kein gutes Momentum sei für Experimente, dass man rasch wieder zur Tagesordnung übergehen soll. Dies wäre das sicherste Rezept, die nächste Katastrophe vorzubereiten. Der zweite Gedanke ist, dass bei der Entwicklung der Mobilität Ziele, Spielregeln und ganzheitliche Konzepte noch nie rechtzeitig vorausdiskutiert und gestaltet wurden. Mobilität und Verkehr waren immer von der Technik getrieben. Gesellschaftliche Anforderungen und regulative Bestimmungen hechelten den Entwicklungen hinterher. Dies mit den heute reihum beobachtbaren Folgen. Die Technologie hatte sich immer bereits breit gemacht und etabliert, bevor Bedürfnisse und Spielregeln definiert wurden, die den Menschen und der Natur zum Wohle gereichten. (Gleiches beobachten wir jetzt bei den Tech-Giganten im Silicon Valley. Unter dem Motto «make the world a better place» optimieren diese mit unseren Daten vor allem ihre eigenen Geschäftsmodelle). Bei der Gestaltung der Mobilität der Zukunft haben wir jetzt noch die Chance, dies anders zu tun. Mit einem breiten gesellschaftlichen Diskurs, der über den Alarmismus der Klimabewegung hinaus geht. Wir müssen uns über die Stossrichtung, die Ziele und die Strategie einigen, bevor wir uns in wildem Fleiss über Massnahmen streiten. Als Denkfabrik machen wir uns Gedanken, welche Themenbereiche griffige Ziele abdecken müssen. Klare Ziele, die uns als Gesellschaft weiter bringen. Eine Helikoptersicht einnehmen, den Fokus erweitern, damit Energie und Kreativität freisetzen für ein lustvolles, ganzheitliches Gestalten. Mit Michel de Montaigne auf den Punkt gebracht:  «Kein Wind ist demjenigen günstig, der nicht weiss, wohin er segeln will».

Ziel 1:

Weniger Verkehr,
mehr Mobilität für
die Menschen.


Ziel 2:

Markante Reduktion
der Belastungen,
welche die Mobilität
verursacht.


Ziel 3:

Signifikante
Senkung der
Unfälle.

Mehr Mobilität, aber weniger Verkehr, eine markante Reduktion der Belastungen und zudem weniger Unfälle scheinen auf den ersten Blick fast unerreichbare, utopische Ziele. Utopisch nur, wenn wir unsere aktuell gelebten mentalen Modelle nicht reflektieren und in Frage stellen. Dabei predigen wir nicht Einschränkungen und Verzicht. Es geht darum, unsere Optik zu verändern, uns zu öffnen für die Möglichkeiten, die uns zum Beispiel die Vierte Industrielle Revolution bietet. Nicht mehr vom Gleichen, einfach digitalisiert, sondern eine echte, tiefgreifende digitale Transformation. Experimenteller und mutiger werden. Altes Infragestellen, Neues ausprobieren. Den Begriff Mobilität erweitern, nicht nur fixiert sein auf analoge Bewegungen. Neue Arbeits- und Bildungsformen werden unsern Lebensstil prägen und der digitale (Daten)verkehr substituiert analoge Verkehrsbewegungen im grossen Stil. Der öffentliche Verkehr wird neu definiert und erweitert auf alle öffentlich zugänglichen Angebote (Taxi, Carsharing, E-Scooter, selbstfahrende Vehikel etc.). Vernetzt und jederzeit in einem auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmten Mix abruf- und nutzbar. Auch neue Akteure dürfen in diesem Diskurs nicht aussen vor gelassen, sondern müssen aktiv einbezogen werden. Neue Ideen haben es schwer, solange nur die bisherigen marktbeherrschenden Akteure (öffentlicher Verkehr und Automobilindustrie) beteiligt sind und entscheiden, jene die vom alten, längst überholten System profitieren. 

Ziel 4:

Verkehr
beansprucht
weniger Fläche.
Der gewonnene
Raum gehört
den Menschen.


Ziel 5:

Mobilität wird zu
100 Prozent aus
erneuerbarer Energie
produziert.

Wir stellen eine pervers enorme Fläche unseres urbanen Lebensraums dem Verkehr, in erster Linie dem Autoverkehr, zur Verfügung. Die urbane Entwicklung des 20. Jahrhunderts war geprägt und getrieben von der Automobilität. Verkehrsflächen dominieren das Erscheinungsbild unserer Städte. Seit der Zweiten Industriellen Revolution wurden Wohn- und Arbeitsräume immer mehr getrennt. Das Pendeln prägt den Lebensstil von Millionen von Menschen, die immer mehr von ihrer Lebenszeit dafür verwenden. Städte und Verkehr müssen wieder von den Bedürfnissen der Menschen, nicht von den Anforderungen der Verkehrsmitteln her, gestaltet werden. Barcelona, Paris, Oslo und andere skandinavische Städte haben dies erkannt und die Trendwende bereits eingeleitet. Das Konzept der 15-Minuten-Stadt ist ein interessanter Ansatz. Den Menschen wieder mehr Raum geben, die Stadt mit verschiedenen kleineren Zentren so gestalten, dass wohnen, arbeiten, Ausbildung und die benötigten Dienstleistungen in einem Umkreis von 15 Minuten erreichbar sind. Gleichzeitig mit der Verkehrswende findet übergelagert eine Energiewende statt. Die Abkehr von der fossil befeuerten Zivilisation, hin zu erneuerbaren Energieformen. Es ist anspruchsvoll, Verkehrswende und Energiewende so zu managen, dass sie sich gegenseitig positiv beeinflussen. 

Ziel 6:

Angebote orientieren
sich am Mensch –
bezüglich Bedürfnis,
Einfachheit, Nutzung,
Verfügbarkeit und
Kosten.


Ziel 7:

Mehr Brainware,
weniger Hardware:
smarte Angebote
statt Eisen und
Beton.


Ziel 8:

Markante
Reduktion des
Verkehrslitterings:
Höhere Produktivität
und tiefere Kosten
bei den Verkehrs-
systemen.“

Die heutigen Mobilitätsangebote sind geprägt durch eine Vorsorgehaltung, die zu einer enormen Verschwendung führt. 70 Prozent der angebotenen Leistungen des öffentlichen Verkehrs werden nicht genutzt, die Taxihalter klagen über 70 Prozent Standzeiten und die Privatautos stehen gar über 23 Stunden pro Tag herum. Jedem sich abzeichnenden Engpass wird immer mit Expansion begegnet. Mehr Strassen, mehr Schienen, mehr Linien, mehr ÖV-Angebote mehr, mehr, mehr. Noch immer werden in der Schweiz täglich 1,3 Hektaren Land für die Erweiterung der Verkehrsinfrastruktur beansprucht; der weitaus grösste Anteil davon für den Strassenausbau. Die Angebote sind noch immer so archaisch gestaltet, wie, die Fischer ihr Handwerk betreiben. Man legt einfach mal möglichst viele Netze aus, in der Hoffnung, dass ein paar Fische (Kundinnen, Fahrgäste) darin hängen bleiben. Diese Systeme verschlingen Unsummen an Geld, verschleissen Ressourcen und gehen trotzdem nicht auf die wirklichen Bedürfnisse der Menschen ein. Statt vom Menschen her, wird noch immer von den Systemen, von der Hardware, aus gedacht und entwickelt. Die digitale Transformation bietet uns über das Tracking von Daten die Möglichkeit, Angebote individueller, näher an den Bedürfnissen der Menschen, zu gestalten. Der Trend zu mehr Kollektivverkehr wird so verstärkt; mit attraktiveren, individuell abgestimmten Angeboten und für die KundInnen erst noch zu tieferen Kosten. 

Ziel 9:

Gerechte und
transparente
Finanzierungs-
modelle.


Ziel 10:

Strukturen die
Innovation, Integration
und vernetzte
Mobilitätsgestaltung
ermöglichen.

Neue Finanzierungsmodelle müssen drei Aspekten entsprechen: Dem Verursacherprinzip, einer ganzheitlichen Erfassung und Zuscheidung aller Kosten und der Bewertung (Bepreisen) des ökologischen Fussabdrucks. D.h. auch die bisher ausgelagerten und nicht berücksichtigten Leistungen, die wir von der Natur beziehen, sind mit einem Preisschild zu versehen und den Nutzenden in Rechnung stellen. Die Ökonomie nimmt nur wahr, was auch bezahlt werden muss. Diese Preisgestaltung steuert bewusst einen sorgfältigen Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten. Aktuell ist das Zusammenspiel zwischen den Konsumenten der Dienstleistung Mobilität, den Produzenten, der Politik und der behördlichen Administration geprägt von Bürokratie und starren Strukturen. Entwicklungen werden nicht rechtzeitig antizipiert, Innovation erschwert. Um die disruptiven Herausforderungen rechtzeitig zu bewältigen, ist die Organisation des Zusammenspiels dieser Akteure neu auszurichten. Auszurichten auf schnelle Veränderungen, Innovation, Integration und Vernetzung. Gradmesser dafür sind allein die Bedürfnisse der Menschen und der schonungsvolle Umgang mit der Natur. 

Handeln jetzt

Gerade in der heutigen Zeit können sich Politikerinnen und Politiker bei der Bevölkerung mit einem verbindlich, klarem Handeln viel Glaubwürdigkeit und Vertrauen schaffen. Sich auf griffige, messbare Ziele festlegen, ist im Bereich Mobilität ein wichtiger Schritt. Keine Zeit mehr verlieren mit treten an Ort, mit warten und hoffen auf das nächste grosse Ding. Die Gummistiefel anziehen und sich in das (zugegeben) unwegsame Gelände hinein begeben. Eine Abkehr vom «immer mehr». Entscheidend ist, den Menschen eine saubere, attraktive und zahlbare Mobilität zu ermöglichen. Mobilität ist Partizipation am Leben.  Alarmismus mag für grosse Aufmerksamkeit und Klicks sorgen, doch nur das konkrete, engagierte Tun bringt uns weiter. #