Auf dem Fahrrad in die Zukunft – eine Einordnung.

 

Der aktuelle Trend in den Städten zeigt Richtung Aus- und Aufbau von Fahrradwegen und Veloschnellrouten. Diese Entwicklung wird von einer Mehrheit unterstützt und ist weltweit en vogue. Doch sind Schnellrouten für Fahrräder wirklich der richtige Weg in die mobile Zukunft der Innenstädte oder wiederholen wir dabei nicht die Fehler, die wir schon beim Auto gemacht haben? Wir haben da mal etwas über den Radstreifen hinaus gedacht.

Das Fahrrad ist ein grossartiges Fortbewegungsmittel und erweitert dem Fussgänger mit wenig Technik den Aktionsradius. Eine runde Sache also, zumindest in seiner einfachsten Ausbaustufe. Doch die technologischen Innovationen haben auch vor dem Fahrrad nicht Halt gemacht und so sind die Top-Trümpfe im Fahrradquartett heute mit fetten Batterien und Hightech aufgerüstet und haben Fahrleistungen wie ein Motorrad. Das mag auf der einen Seite den Technikinteressierten Freizeitsportler begeistern, sollte aber eigentlich Autofahrer und Motorradfahrer zum Umsteigen bewegen. Doch leider funktioniert das nur in ganz kleinem Mass. Das E-Bike ist eher eine Erweiterung des bestehenden Fuhrparks als der Ersatz für den spritschluckenden SUV.

In ländlichen Gegenden wird das Fahrrad zum Grossteil nur in der Freizeit oder für die Fahrt an den Bahnhof genutzt – zu sehr ist da das Leben noch auf das Auto ausgerichtet. Hier gäbe es ganz klar Handlungsbedarf in den Gemeinden und es müssen Anreize geschaffen werden, dass es sich auf dem Land auch ohne eigenes Auto leben und verkehren lässt. In den Innenstädten sieht es da schon besser aus und die Fahrraddichte stieg da über die letzten Jahre merklich. Neu sind in diesem Bereich auch Mietfahrrad-Anbieter und E-Scooter-Startups Teil des Mobilitäts-Mix. Aber auch hier vermögen diese Tools keine Autofahrer zum Umsteigen bewegen – schlimmer noch, sie nehmen dem ÖV auf der Kurzstrecke die Kunden weg. Das mag in Zeiten von Corona als positive Entlastung gelten, auf die Länge wird die Mikromobilität die ÖV-Unternehmen aber richtig Geld kosten und die Effizienz der Verkehrsinfrastruktur sinkt.

Apropos Corona: die landesweiten Lockdowns haben diesen Frühling viele Menschen aufs Fahrrad gebracht. Von einem Trend war die Rede. Fahrradläden hatten Goldgräberstimmung und viele Modelle waren ausverkauft. Doch hat von diesen neuen Kunden auch jemand sein Auto dafür aufgegeben? Die Zulassungszahlen und die verstopften Strassen nach dem Lockdown sagen Nein. Der wunderschön sonnige Frühling, viel Freizeit und die Stadtflucht ins Grüne waren aber auch perfekt, um mit dem Velo die Runde zu machen. Erholung pur. Doch mit dem nass-kalten Wetter sind die Fahrräder wieder vermehrt in den überfüllten Kellern zu finden, als auf den Strassen. Schade eigentlich: hier vergeben wir das Potenzial, Pendler auch langfristig zum Umsteigen aufs Velo zu bewegen.

Es ist aber klar zu spüren, dass das Fahrrad in der Bevölkerung eine grosse Mehrheit gewonnen hat. Tendenz steigend. Nicht weiter verwunderlich, da ja Fussgänger, ÖV-Nutzer und Autofahrer alle auch Fahrradfahrer sind. Eine verbindende Gemeinsamkeit in der meistens von ideologischen Grabenkämpfen geprägten Mobilitätsdiskussion. Dank dieser Einheit kommt es bei Abstimmungen immer zu grossem Zuspruch. Zum Beispiel in der Stadt Zürich, wo 70.5 Prozent der Stimmbevölkerung klar ja zu sicheren Velorouten sagt. Es scheint hier also ein klares Bedürfnis zu geben. Nehmen wir also die Argumente der Befürworter mal unter die Lupe: das Rad wird als «platzsparendes Wundertalent» präsentiert. Das mag stimmen, wenn man dafür die bereits existierende Infrastruktur nutzen und verbessern kann. Baut man aber dafür extra neue Schnellrouten, wird der so oder so schon knappe Platz noch knapper. Platzsparend ist anders. Es ist also zwingend für den weiteren Ausbau dem Auto Platz wegzunehmen. Es braucht klare Entscheide und keine faulen Kompromisse! Und wer bezahlt in Zukunft den Bau und den Unterhalt? Noch radeln wir alle gratis auf der teuren Infrastruktur. Gibt es bald eine Vignette für die Veloschnellrouten analog der Autobahnvignette? Ein weiteres Argument der Velo-Lobby ist, dass Autofahrer aufs Fahrrad umsteigen würden, wenn es direkte und sichere Routen gäbe. Aber warum gibt es diese noch nicht? Heisst das, die ganzen Bemühungen und der Velo-Ausbau der letzten Jahre haben dieses Ziel verfehlt?

Imagefilm zu dem Veloschnellrouten.

So hat man am Hauptbahnhof zwar gigantische Velobunker in den Boden gehauen, aber ein sicherer Weg um oder unter dem Bahnhof durch exisitert bis heute nicht. Wer vom Bellevue zum Tiefenbrunnen will, muss sich entweder lebensmüde auf die Bellerivestrasse trauen oder ununterbrochen an den Fussgängern auf der Seepromenade vorbeischlängeln. Entspannt ist anders! In der 2019 fertiggestellten Europaallee sieht es für die Fahrradfahrer leider auch nicht besser aus. Da müssen mehrfach Fahrspuren gewechselt werden, was durchaus auch mal im Kühlergrill eines Autos enden kann. So kommt man zum Schluss: Die Stadt Zürich kann Velo nicht. Man geht Problemen und klaren Entscheiden aus dem Weg und baut jetzt lieber ein zusätzliches Radnetz darüber. Genau das hat man in der Vergangenheit beim Auto auch schon versucht, das Ergebnis steht als unvollendete Sihlhochstrasse beim Autobahnende im Sihlhölzli. Ein Mahnmal für ein verbetoniertes Verkehrskonzept, welches in die Leere führte.

Eines muss man ganz klar sagen: Autofahrer steigen nicht um, weil wir Veloschnellrouten bauen. Sie steigen um, wenn sie bequem und entspannt ans Ziel kommen. Entschleunigung statt Speed. Und nehmen die Menschen dafür den ÖV, das Velo – oder in Zukunft ein selbstfahrendes Sharing-Angebot – ist das allemal besser, als das im Durchschnitt nur mit 1.1 Personen besetzte Privatauto. Für unsere Städte und die Umwelt. Setzen wir doch besser auf ein intelligenteres Zusammenspiel der Mobilität und nicht nur auf ein Verkehrsmittel. Wir können so die existierende Infrastruktur umnutzen und optimieren und brauchen nicht noch mehr Eisen und Beton. Das grossartige am Fahrrad ist ja, dass es überall verkehren kann. Man muss ihm nur den nötigen Raum geben.

Nehmen wir uns doch den bereits gebauten und verzettelten Velowegen an und optimieren diese zu einem effizienten und sicheren Netz – gut abgetrennt vom Auto und ohne Parkplätze, die eine stete Gefahr darstellen. Gute Beispiele gibt es dafür viele, man muss sich nur mal in Städten wie Kopenhagen umsehen. So setzt man da auf entspanntes Fahren mit 20 km/h und kann so auf vielen Strassen mit einer grünen Welle vorwärtskommen. An Kreuzungen gibt es Haltestangen, die das Warten und losfahren erleichtern und spezielle Abbiegespuren, alles sauber vom Auto getrennt. Es gibt exklusive Fahrradbrücken und man hat sogar schräg stehende Mülleimer entwickelt, in die die Radfahrer ihren Müll fahrend werfen können. Mit einer Radwegbreite von 2.35 Metern ist genug Platz für Trödler und Rennfahrer auf einer Fahrspur. Irgendwie ein schönes Bild die Radfahrer als eine Einheit zu betrachten und sie nicht in Schnelle und Langsame zu trennen.

Hier stimmt die Hierarchie im Verkehr nicht: Fussgänger, ÖV, Velo und dann Auto, das wäre das Ziel eines Mobilitätskonzepts mit Zukunft.
— Daniel Soldenhoff, denkfabrikmobilitaet.org

Es wäre auch schön, wenn wir diese Einheit bei Fussgängern und Radfahrern beibehalten könnten. Aktuell ist das noch nicht so ein Thema, denn der gemeinsame Gegner Auto verbindet die beiden Lager. Doch was ist, wenn das Auto in den Städten nicht mehr ist? Dann werden in der öffentlichen Wahrnehmung die E-Biker zu Rasern und rücksichtslosen Egomanen. Diesen unschönen Trend nimmt man in den Innenstädten bereits wahr. Wer sich als Fussgänger mal aus Versehen auf einem Fahrradstreifen wiederfindet, wird regelrecht angefeindet. Rücksicht fehl am Platz. Leider unterstützt Zürich diese unschöne Entwicklung, da die Planer Mischzonen von Fussgängern und Fahrrädern eingeführt haben. Einen regelrechten Rückschritt in die Steinzeit. Und dann gibt es noch einen Nebeneffekt, den man bei der ganzen Euphorie um Velowege und 30er-Zonen nicht ausser Acht lassen darf. Wo der Verkehr beruhigt wird, steigen die Grundstückspreise und die Anwohner müssen höhere Mieten bezahlen. Hier wäre die Politik gefordert, dass man dieser Entwicklung vorausschauend Einhalt gebietet.

Manchmal hat man das Gefühl, dass wir aktuell mitten in einem ideologisch aufgeladenen Klassenkampf zwischen Auto und Velo stecken und es nur darum geht, dem Auto so möglichst viel Raum abzugewinnen. Unseren Innenstädten wieder mehr Raum zu geben ist schon der richtige Weg, die Autofläche massgeblich zu reduzieren auch – aber wenn wir allen Raum den wir dem motorisierten Verkehr wegnehmen, einfach in Velowege umnutzen, wird die Verkehrsfläche nicht kleiner. Und das muss unser klares Ziel für die Zukunft sein. Es braucht eine klare Hierarchie im Verkehr: Fussgänger, ÖV, Velo und dann Auto, das wäre das Ziel eines Mobilitätskonzepts mit Zukunft. Zumindest für eine Stadt wie Zürich, wo der ÖV einen Grossteil der Pendler von A nach B bringt.

Die Einordnung zeigt, dass der von der Bevölkerung gewünschte Ausbau des Velo-Netzes nicht so trivial ist, wie auf den ersten Blick zu erkennen. Es benötigt viel Feingefühl und vorausschauende Planung und kein blindes Ausbauen der Infrastruktur. Es braucht aber auch Mut und das klare Bekenntnis von Politik und ihren Planern zur Reduktion der Autofläche sowie der gesamten Verkehrsfläche. So entsteht Raum und man kann im Bereich Fahrrad nach echten Innovationen zu Ausschau halten, zum Beispiel Rollbänder auf denen man ohne viel Kraftaufwand stärkere Steigungen überwinden könnte. Die Digitalisierung in den Ausbau miteinbeziehen und Ampeln und Korridore so zu steuern, dass die Fahrräder freie Fahrt haben. Neue Transportmöglichkeiten in Zug, Tram und Bus lancieren, die das Zusammenspiel von Velo und ÖV optimiert. So könnte man auch mal weitere Strecken mit dem Fahrrad zurücklegen und bei Regen umsteigen. Aber auch die Immobilienentwickler sollten sich dem Fahrrad annehmen und in ihren Liegenschaften bessere Lösungen zum Abstellen der Räder finden. Zum Beispiel Hochregallager, um die vielen Fahrräder platzsparend zu parken, mit günstiger Infrastruktur aus der Logistik. Es ist alles da, man muss es nur richtig kombinieren. Darum unser Appell an die, die den Volkswillen nun in Radwege umsetzen müssen: denkt nicht auf betonierten Wegen zwischen zwei leuchtgelben Strichen, denkt offen und frei und lasst neue Ideen zu, auch wenn dabei keine Veloschnellrouten rauskommen. Darum keine faulen Kompromisse und mehr Mut. Eine velogerechte Stadt ist genauso falsch wie die gestrige Vision der autogerechten City. Wir dürfen die mobile Zukunft nicht auf Verkehrsmittel ausrichten – mögen diese noch so umweltgerecht sein – sondern müssen sie vom Menschen her denken und entwickeln. #