Die Datengenossenschaft im Kampf gegen das Virus

 

In der Regel analysiert Roger Fischer Verkehrsströme und menschliche Bewegungsmuster zur Optimierung von Mobilität. Aktuell entwickelt er mit seinem Unternehmen «Datamap» eine genossenschaftlich strukturierte App im Kampf gegen das Coronavirus. Roger Fischer stellt sich im folgenden Interview den Fragen von Hannes Hug.

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HH: Roger Fischer, du hast lange im Silicon Valley gelebt und dort unter anderem für Kaywa Inc. gearbeitet. Das Unternehmen ist seit 15 Jahren im «Mobile-Tagging» tätig und hat – nebst anderen Anwendungen – den QR-Code in der westlichen Welt popularisiert. Steht die Idee der Selbstoptimierung auch in Zeiten der «Corona-Krise» im Mittelpunkt des Alltags im Valley oder erreichen dich auch vermehrt Signale zum Wohle aller aus deiner «alten» Heimat?

RF: Die Stimmung war lange ähnlich wie bei uns. Das Coronavirus sei nicht viel mehr als  eine Grippe, hiess es. Vorzeigebeispiel in Sachen Verharmlosung ist Elon Musk, welcher sich nicht an den Lockdown hält, der nun auch in Kalifornien Tatsache ist. Inzwischen gibt es aber im Valley viele Leute, die selbst die Daten analysieren, beziehungsweise modelliert haben, und feststellen, dass das gar nicht gut aussieht. Sehr früh mit dabei war auch die Johns Hopkins University in Baltimore, die heute verlässlich Zahlen zum Coronavirus liefert, beziehungsweise die Entwicklung weltweit aufzeigt.

HH: Ihr habt bei Datamap die App «POSMO B» entwickelt. «POSMO B» beinhaltet die Funktion des «Queuing», also des Schlangestehens, für den Zu- und Austritt in Lebensmittelläden und Spitälern. Mittels App bucht man einen Slot, um Wartezeiten zu umgehen und vor allem, um Distanz zu anderen zu wahren. Ausserdem ist die App mit einer Zusatzfunktion ausgestattet, die nachträglich aktiviert werden kann, um das Bewegungsprofil des Anwenders auszuwerten. Das Ziel von «Contact Tracing», so nennt sich diese Funktion, ist es, einen allfälligen Ausbruch des Virus bei allen Registrierten nachverfolgen zu können und so die Weiterverbreitung einzudämmen.  

RF: Das Tracing ist die Option für den Fall, dass wir es brauchen. Im Vordergrund soll zuerst der Nutzen des «Queuing» stehen. Das heisst, statt vor der Migros anzustehen, reserviere ich meinen Einkaufsslot im Voraus. Jeder Anwenderin und jedem Anwender ist es zu Beginn selbst überlassen, ob er oder sie getrackt werden will. Wenn wir die App über einen Grossverteiler wie Coop oder Migros unter die Leute bringen können, dann kann das Tracking zu jedem Zeitpunkt aktiviert werden. Tracking, beziehungsweise dann auch Contact Tracing, ist unser Plan B. Schafft es unsere Regierung, den Wert R (Reproduction Number) mit den aktuellen Massnahmen unter 1 zu bringen, dann benötigen wir keinen Plan B. Ich hoffe sehr, dass das gelingen wird, bin aber skeptisch.

Die provisorischen Screendesigns der Posmo B-App. (© Datamap AG)

Die provisorischen Screendesigns der Posmo B-App. (© Datamap AG)

HH: Inwiefern? 

RF: China konnte den Wert R anfangs nicht tiefer als 1.25 senken, hatte aber einen sehr viel strengeren Lockdown als unsere «ausserordentliche Lage». Erst das konsequente Testen, kombiniert mit Contact Tracing und der Separierung hat den Wert R auf 0.32 gebracht. Infiziert sich zudem das medizinische Personal, wie in China geschehen (9 % in 10 Tagen), dann wächst uns das Problem rasch über den Kopf. Zudem stellt sich die Frage nach Alternativen. Wollen wir uns mittels konsequentem Contact Tracing und Testen allmählich wieder einem normalen Alltag annähern oder verharren wir im gegenwärtigen Zustand, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht? 

HH: Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) beschäftigt sich derzeit mit dem Thema Contact Tracing. Handelt es sich hierbei um eure Entwicklung? 

RF: Nein. Auf meine Anfrage beim BAG erfolgte bisher keine Reaktion. Vielleicht ist das auch gut so, weil das BAG im Moment davon ausgeht, dass Contact Tracing nicht nötig sein wird – im Gegensatz zu Epidemiologen wie Salathé, Althaus, Neher usw. Ich denke unsere App kann einen substanziellen Beitrag im Kampf gegen das Coronavirus leisten, ohne dabei unsere demokratischen Grundrechte auszuhebeln. Dies, weil bei «POSMO B» – dank der Genossenschaftsstruktur – alle Nutzer*innen mitbestimmen, was mit den erhobenen Daten geschieht. Neben der Bekämpfung des Virus’ gewährleisten wir mit diesem Modell, dass der Schutz der demokratischen Grundrechte auch in einer Pandemie, in einer Extremsituation, gewahrt ist.

Das alles zeigt auf, dass der effizienteste Weg, die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, über die Kombination von Contact Tracing und Testen läuft.
— Roger Fischer

HH: Der Vorteil euer Anwendung ist, dass wir uns – vorausgesetzt symptomfrei und getestet – mehr oder weniger frei bewegen können. Die grosse Frage bleibt: Was geschieht mit unseren Daten? 

RF: Bei unserer App bleiben die Daten in Obhut der Posmo Genossenschaft, die alleine aus Nutzer*innen der App selbst besteht. Die Genossenschaft wurde im Februar 2020 gegründet, ist aber noch nicht im Handelsregister eingetragen. Wir wurden von der Pandemie überrumpelt und müssen jetzt schnell operativ werden. Das Paradebeispiel für die geglückte Kombination von Demokratie, beziehungsweise Datenschutz und Pandemie-Containment, ist Taiwan. Dort analysiert die Regierung grosse Datensätze, um potenzielle Virenträger anhand ihrer Reisegeschichte aufzuspüren. Wer sich in einem gefährdeten Gebiet aufhielt, muss mit einem Anruf der Gesundheitsbehörden rechnen. Noch vor der Einreisesperre begann Taiwan, den Aufenthaltsort von Personen zurückzuverfolgen, die aus Wuhan, später von irgendwo aus China einreisten. Das alles zeigt auf, dass der effizienteste Weg, die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, über die Kombination von Contact Tracing und Testen läuft.

HH: Das würde bedeuten, dass wir unsere persönlichsten Daten liefern, um im Gegenzug wieder ein Stück Freiheit zu erlangen – klingt arg nach «Vogel friss oder stirb». Inwiefern lassen sich die berechtigen Bedenken, dass unsere Grundrechte durch ein Tracing infrage gestellt werden, entkräften?

RF: Für uns ist absolut zentral, dass jeder Schritt immer im Dialog mit der Genossenschaft Posmo Schweiz abgesprochen ist. Wenn die Genossenschaft, die ja Verwalterin der Nutzerdaten ist, diese Daten hütet, pflegt, verteidigt und schützt, dann liefere ich meine Daten eben nicht einfach dem Staat oder einem Privatunternehmen ab. Sondern ich, als Nutzer*in der App, als Produzent*in der Daten, kann jederzeit mit meiner Stimme mitbestimmen, womit ich einverstanden bin und womit nicht. Der Ethikrat unserer Genossenschaft ist hier besonders gefordert. Aktuell bereiten wir eine ausserordentliche GV vor, um über die Akzeptanz des Projektes POSMO B abzustimmen. Ich hoffe sehr, dass die Gründungsmitglieder zustimmen, denn für mich ist diese konstante, demokratische Auseinandersetzung das Wichtigste überhaupt. Ausserdem bin ich überzeugt, dass ein Virus viel kreativer bekämpft werden kann, als wir glauben. Wir wissen noch nicht, wie wir das Virus schlagen werden, aber mit den entsprechenden Daten entstehen möglicherweise plötzlich völlig neue Ideen und wir erkennen grössere Zusammenhänge. Im Moment tappen wir alle noch ziemlich im Dunkeln und das ist ein Zustand, den wir nicht beibehalten wollen. 

HH: Letzte Frage; wie hältst du’s mit den Empfehlungen des BAG und des Bundesrates? Oder anders gefragt; wie hast du dich in deiner «kleinen Welt» eingerichtet? 

RF: Meine Familie und ich halten uns sehr strikt an die Empfehlungen, weil ich glaube, dass das Virus hier in Europa massiv unterschätzt wird. Asien hat mit dem SARS-Erreger seine Erfahrungen gemacht und ist deshalb psychologisch viel besser gerüstet als wir. Zudem wurden dort die Gesundheitssysteme, zumindest in Japan, China, Korea und Taiwan, ausgebaut und nicht reduziert wie bei uns. Nach meinem Empfinden hätte unsere Regierung schneller reagieren sollen und die getroffenen Massnahmen hätten von Beginn weg strenger sein müssen.

HH: Danke für das Gespräch, Roger. Semper Sanus!

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Roger Fischer

ist Gründer und CEO der Datamap AG und kennt sich mit Daten und in der digitalen Welt aus. Nach mehreren Jahren im Silicon Valley lebt und arbeitet er wieder in Zürich und engagiert sich neben seiner IT-Tätigkeit für gesellschaftsrelevante Themen wie Datengenossenschaften und den sinnvollen Umgang mit Bewegungsdaten. Sein wachsendes Wissen über urbane Bewegungsmuster inspiriert ihn zu neuen und anderen Formen der Mobilität. Roger Fischer ist seit 2019 Mitglied der DenkfabrikMobilität.

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hANNES HUG

unterhält sich für das Schweizer Radio SRF3 und SRF2 Kultur mit Persönlichkeiten des Zeitgeschehens. Spricht mit Menschen auf der Bühne und gerne auch abseits davon. Entwickelt Konzepte und Inhalte für Menschen, Medien und Marken. Realisiert Filme im Bereich Corporate Communication und Dokumentation. Geht gerne zu Fuss, wenn’s geht. Mag Autos mit Charakter, besitzt aber keines. Fährt in der Regel Zug, Tram und Bus und macht sich eine Menge Gedanken dazu. Zurzeit bleibt er zuhause. Hannes Hug ist seit 2017 Mitglied der DenkfabrikMobilität.