Wachtablösung: Folgt auf den Manager ein Verwalter?
Ein paar Gedanken zum CEO-Wechsel bei der SBB.
Adrett und mit umgebundener Krawatte präsentiert sich Vincent Ducrot, der neue SBB-CEO, den Medien. Sicherheit, Pünktlichkeit, Sauberkeit verkündet er als seine zentralen Werte. Vom Erscheinungsbild her unterscheidet er sich markant von seinem Vorgänger. Der 57-jährige Ducrot folgt auf den 58-jährigen Andreas Meyer, der sich ganz offensichtlich seit seinen Aufenthalten im Silicon Valley, gerne wie die Gewaltigen der Tech-Welt, ohne Krawatte, mit offenem Hemdkragen und in engen Anzügen inszeniert. Der neue CEO will die SBB in ruhigere Gewässer führen. (Ein etwas schräges Bild; Eine Eisenbahn im Wasser läuft zwangsläufig in Gefahr zu versinken.) Die SBB-Verwaltungsratspräsidentin formuliert klare Erwartungen an den neuen CEO, nämlich, dass er die Unternehmung „nach einer dramatischen Entwicklung, in der das System an seine Grenzen gekommen sei, in die Phase der Konsolidierung führe“. Mit andern Worten sagt die VR-Präsidentin, dass der Vorgänger die Unternehmung überfordert und beinahe an die Wand gefahren habe.
Applaus für den echten Bähnler
Die Reaktionen auf die Ernennung von Ducrot sind überwältigend positiv. Die ÖV-Branche, die politischen Vertreter, die Gewerkschaften, ja gar die Medien, übertreffen sich in Lobpreisungen. Freude herrscht, dass wieder ein „echter Bähnler durch und durch“ das Steuerrad (im ÖV den Joystick) übernimmt. Genau eine solche Person brauche es jetzt. Man lobt gar den Vorteil, dass er nicht als Kämpfer agiere und sich hartnäckig für seine Anliegen einsetze. Dies habe den Vorteil, dass man mit ihm schnellere Lösungen finde. (Deuten diese Stimmen an, dass sie sich erhoffen, ihn leichter über den Tisch ziehen zu können?) Jedenfalls freuen sich die Gewerkschaften darauf, dass er seine Meinung ändern könne. (Schimmert da durch, dass die Gewerkschaften leichtes Spiel erwarten?)
Sehnsucht nach der guten, alten SBB
Ein Grundtenor prägt die Kommentare und Reaktionen zur Ernennung von Vincent Ducrot: Es dominiert die Erwartung, ja gar eine Sehnsucht, dass der neue CEO die gute alte SBB, so wie wir sie kennen und lieben, wieder herstellt. Pünktlich, sauber, fleissig, sicher – und sehr weit entfernt von schrill und sexy. Ein ausdauerndes, ruhiges Arbeitspferd, das uns, wann immer wir es brauchen, zur Verfügung steht. Ein Thema wurde in diesem kollektiven Nostalgierausch völlig ausgeklammert, nämlich wie der neue SBB-CEO das für unser Land zentrale Infrastruktur- und Mobilitätsunternehmen durch die Verwerfungen, Disruptionen und Wirren der vierten Industriellen Revolution führen wird. Kein Zweifel, Vincent Ducrot mag ein solider, engagierter Bahnmanager sein. Bringt mit seinem Programm Ruhe und Konsolidierung in die SBB. Für einen Aufbruch in die Zukunft der Mobilität steht er nicht. Mit der Wahl eines Bähnlers im Herbst seiner Karriere setzen die SBB ein falsches Signal, vermitteln jedenfalls nicht die Absicht, die Gestaltung der Zukunft visionär und mutig anzugehen.
Ausgeklammert: Herausforderungen der 4. industriellen Revolution
Auch wenn eine Gesellschaft sich noch so sehr nach Konsolidierung, Ruhe und Stabilität sehnt, die Kräfte, die in Wirtschaft und Gesellschaft wirken, denen sich die SBB stellen muss, sind andere. Doch einigermassen befremdend, dass bei der Ernennung eines CEO, der eine zentrale nationale Unternehmung in den nächsten fünf bis acht Jahren prägen wird, mit keinem Wort auf die Herausforderungen der vierten Industriellen Revolution eingegangen wird. Am Rande wird zwar erwähnt, dass sich Ducrot mit Digitalisierung befasst habe oder befasse. Erwähnt werden eine App und ein Versuch mit einem selbstfahrenden Bus, der offenbar auf seiner Städtetournee auch in Fribourg Station gemacht hatte. Einfach ein wenig Digitalisierung reicht nicht, die Herausforderung ist die digitale Transformation. Die Entwicklung von der Verkehrsunternehmung zu einem Mobilitätsdienstleister gerät offenbar aus dem Focus. Und der Beitrag, den die SBB beim Klimawandel und bei der Entkarbonisierung der Mobilität leisten muss? Fehlanzeige.
Ruhe, Sicherheit, Stabilität und Konsolidierung mag man der SBB gönnen – darauf hoffend, dass sie dabei nicht wohlig einschläft und die lauernde Tech-Konkurrenz im TGV-Tempo an ihr vorbei braust.#